Regie Rafael Sanchez
Fassung Rafael Sanchez und Mike Müller
https://www.staatsschauspiel-dresden.de/spielplan/a-z/der-diener-zweier-herren/
Der Diener zweier Herren jetzt mal geschäftlich gesehen
Väter, die ihre Töchter verschachern, Töchter, die ihre Väter um eine Heiratserlaubnis bitten, Jungspunde, die um die Hand ihrer Liebsten anhalten, aber nicht bei der Liebsten, sondern deren Vater, Diener, die sich Schläge gefallen lassen müssen, Arbeitgeber, die ihre Untergebenen wie Sklaven behandeln, Hauspersonal, das zu wenig Essen kriegt: Wie will man das heute erzählen? Historisierend geht das natürlich immer, im japanischen Palais ohnehin, ein bisschen Venedig und Florenz nach Dresden verpflanzen und den Kostümfundus wieder mal vom gröbsten Staub befreien: Check. Tolle Schauspieler*innen: Check. Super Band: Check. Was soll man sich da noch Gedanken machen, das Ding läuft. Über den Mehrwert müssen wir nicht reden, und wenn man eine alte Übersetzung nimmt, muss man nicht mal Tantiemen abführen. Tolle Sache.
Zurück zum Anfang: Goldoni wollte mit «Diener zweier Herren» mit ein paar klischierten Schienen, die sich in die Commedia dell’Arte eingefräst hatten, aufräumen und die Formen brechen, moderner, zeitgenössischer werden. Der Originaltext beinhaltet recht gesellschaftskritische Stellen, wir staunten beim Lesen und dachten, der Feminismus schleicht sich hier auf ganz schön leisen Sohlen an. Nun sind wir weder Goldonis noch die selbsterklärte Speerspitze des Feminismus in männlicher Form und finden auch nicht schlimm, wenn am Theater ein Schild mit der Aufschrift «Museum» prangt, aber wir denken, das Schild sollte man nicht nur auf-, sondern auch abhängen können. Will heissen: Nicht jeder Klassiker gehört ins Museum. Ein guter Text lässt auch eine Bearbeitung zu. Wir befreiten die Väter-Töchter-Liebhaber-Braut-Bräutigam-Vernunftehe-Liebesheirat-Ebene von ihrer Einzigartigkeit und erfanden eine neue Ebene dazu: Das Business. Es werden nicht Liebesbeziehungen verhandelt, sondern geschäftliche Werte, man ist wie in der Liebe nicht immer ehrlich, sondern legt den anderen oder die andere aufs Kreuz, lügt ein bisschen, taktiert ein bisschen, hofft ein bisschen. Wir dachten: Es lebe das kleingewerbliche Milieu. Offenheit, Ehrlichkeit und Treue sind da nicht gefragt und das ist für das Theater toll. Trau keinem, der spricht.
Wir diskutierten über Wohnanhänger, Bungalows, Zeltplätze, über die Milieus an solchen Orten und Eva-Maria Bauer schlug uns dann eine Budenstadt vor, was uns die Arbeit an der Fassung ungemein erleichterte. Wir mussten uns nicht auf eine bestimmte Freizeitgesellschaft einstellen oder gar ethnische Zuschreibungen behaupten, worum es bei Goldoni nämlich nur am Rande geht, wenn der Unterschied von Venedig und Florenz thematisiert wird, aber diesen Unterschied kennt hierzulande keiner, sondern konnten uns mit der Budenstadt auf das Kleingewerbe einschiessen, was uns milieumässig nicht sehr einschränkte, sondern freie Bahn liess. Da gibt es legale und weniger legale Geschäfte und dazu Leute, die ihr legales Halbwissen wohlfeil halten, es gibt gerissene und weniger schlaue Akteur*innen und alle haben irgendein Geschäft im Auge und tragen zu diesem Zweck eine ganz bestimmte Freundlichkeit vor sich her. Da sind wir dann wieder ganz nahe am Theaterbetrieb, aber das ist ein anderes Thema.
Wir haben also die Heiratvermittlerei mit einem konkreten Geschäftsvorgang verwoben, und so der Heirat wieder eine ökonomische Ebene zugefügt, die ganz gut zur ihr passt. Es geht immer noch um Liebe und Ehre und Nachfolge in der Familie, aber in unserer Geschichte in der Budenstadt hat alles ein Preisschild. Über die Höhe des Preises kann man verhandeln, aber eine Gratisgesellschaft sehen wir nicht: Wettbüro, Wechselstube, Döner, Import-Export, Pfandhaus. Kleine Geschäfte ganz gross. Und so mochten wir unsere Fassung auch nicht in ein bestimmtes soziologisches Milieu stellen, auch nicht in eine bestimmte Stadt in Deutschland. Mit unserer spanischen und schweizerischen Herkunft wären wir dafür auch denkbar ungeeignet. Und sehr viel Südeuropäisches konnten wir bei Goldoni auch nicht entdecken, ausser vielleicht, dass alle Figuren irgendwie Wichtigtuer*innen sind. Und da wir schon lange auch mit Deutschland verbandelt sind, mussten wir feststellen: Das ist hier auch nicht besser. Insofern ist Goldonis Diener zweier Herren hier goldrichtig. Und ein paar Bezüge zu Dresden haben wir dann doch gemacht. Aus Sympathie und ganz ohne geschäftliche Absichten.
Mai 2023, Rafael Sanchez und Mike Müller